hr-iNFO Büchercheck: Ein ganzes Leben von Robert Seethaler

hr-iNFO Büchercheck: Ein ganzes Leben von Robert Seethaler

23.10.2014

Heute stellt hr-iNFO eines unserer Lieblingsbücher des Herbstes 2014 vor: Robert Seethaler ist ein vielgelobter Schriftsteller aus Österreich. In den Alpen spielt auch sein neuester Roman, „Ein ganzes Leben“. Seethaler erzählt die Geschichte eines ganz einfachen Mannes. hr-iNFO Bücherchecker Frank Statzner hat sie gelesen.

Worum geht es?
Andreas Egger ist ein Antiheld. Als kleiner Junge wird er am Ende des 19. Jahrhunderts einem Bauern in einem Alpental übergeben. Für den Bauern ist er eine billige Arbeitskraft, die er nach Gutdünken ausbeuten kann. Er schuftet, erduldet, lebt weiter von einem Tag zum nächsten. Irgendwann ist er so stark, dass der Bauer keine Macht mehr über ihn hat. Andreas Egger verdingt sich als Arbeiter und macht geduldig alles, was man von ihm verlangt. Er verliebt sich, baut eine Hütte, erlebt privates Glück, bis eine Lawine ihm die Liebste nimmt. Auch das nimmt er einfach hin – und macht weiter.

Wie ist es geschrieben?
Die grobschlächtige Bauernwelt, die stoische Duldsamkeit des ganz einfachen Mannes: das könnten Requisiten eines folkloristischen Heimatromans sein. Aber dieser Roman ist anders. Der Ton ist nicht süßlich, kitschig oder pathetisch - er ist lakonisch, protokollierend und bildstark. Das macht dieses Buch, diese Geschichte so authentisch, so glaubwürdig, so berührend, so außergewöhnlich. Ein Beispiel dafür ist die Lebensbilanz Eggers:

„Er hatte oft und oft sein Leben an einem Faden zwischen Himmel und Erde gehängt und in seinen letzten Jahren als Fremdenführer hatte er mehr über die Menschen erfahren, als er begreifen konnte. Soweit er wusste, hatte er keine nennenswerte Schuld auf sich geladen, und er war den Verlockungen der Welt, der Sauferei, der Hurerei und der Völlerei, nie verfallen. Er hatte ein Haus gebaut, hatte in unzähligen Betten und Ställen, auf Laderampen und ein paar Nächte sogar in einer russischen Holzkiste geschlafen. Er hatte geliebt.“

Wie gefällt es?
Ich finde, das ist ein beeindruckendes, berührendes und kunstvolles Buch: Es öffnet ein Fenster in eine Zeit, die unwiderruflich vergangen ist, es stellt uns einen Menschentyp vor, den es so wohl kaum mehr gibt in unserer Gesellschaft: unverstellt und klar, anspruchslos, eins mit sich und seiner Umwelt. Wir lesen bizarre oder groteske Szenen und dann wieder zarte, ja poetische Bilder. Und man lernt zu staunen über diesen außergewöhnlichen Menschen, den Robert Seethaler da erfunden hat, zu staunen über dieses nackte Leben, das einfach so passiert. Und sich dann unweigerlich zu fragen, wie es denn mit dem eigenen Leben so steht, den Ansprüchen, den Glücksmomenten.

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gebundenes Buch, 160 S.
Sprache: Deutsch
Hanser Berlin
ISBN: 9783446246454